Nachhaltiger Wildfang aus Chile ernährt Afrika

Philipp Hämmerli | 30. November 2022

Nach unseren Chile-Trips 2019 (siehe Blog 1 und Blog 2) hat sich Bonafide entschieden, erneut nach Chile zu reisen. Nebst dem Besuch der Lachszuchten galt es den Wildfang genauer unter die Lupe zu nehmen. Dazu haben wir den Hafen von Coronel besucht, wo die grösste Flotte für die Fischerei der «Chilean Jack Mackerel» beheimatet ist. Die gängigen Vorurteile wie Überfischung, Beifang oder die mehrheitliche Nutzung als Futtermittel für Zuchttiere lassen sich für diese mittlerweile vorbildliche Fischerei mit eindrücklichen Fakten widerlegen. Die steigenden Exportvolumen nach Afrika ermöglichen der dortigen Bevölkerung den Kauf von günstigen und nahrhaften Proteinen.

Auf nachhaltigem Wege zu alten Fangquoten

In den frühen Neunzigerjahren herrschte Hochkonjunktur in der Fischerei von Jack Mackerel. Die Biomasse schien grenzenlos und Mitte desselben Jahrzehnts zog man fast fünf Millionen Tonnen dieser etwa 40 cm langen Spezies an Land. Involviert waren nicht nur die Südamerikaner, auch Europa und Asien partizipierten an dieser vermeintlichen Goldgrube. Die Fänge kollabierten jedoch zügig, da sich schwimmende Biomassen wie Wälder verhalten: Erntet man mehr als nachwächst, verschwinden sie früher oder später. Das olympische Fangmodell («First come, First serve») hatte eigentlich längst ausgedient und dennoch dauerte es beinahe 20 Jahre, bis man sich auf wissenschaftliche Fangquoten einigen konnte. 2013 war dann auch das Jahr mit den niedrigsten Volumen von lediglich 360'000 Tonnen, weniger als ein Zehntel der Spitzenjahre.

In diesem jahrelangen Abwärtszyklus durchlief die Industrie aus Finanzperspektive eine Schlankheitskur. Kapital wurde abgezogen, indem die Flotte merklich reduziert und Modernisierungen in der Verarbeitung aufgeschoben wurden. Seit der Implementierung der wissenschaftlichen Fangquoten hat sich die geschätzte Biomasse innert weniger als zehn Jahren verfünffacht. Mit einer geschätzten Biomasse von 11.2 Millionen Tonnen entspricht dies der vollständigen Erholung des Fischbestandes zurück auf ein Level, welches letztmals vor 1990 herrschte. Die Anstrengungen der Industrie, sich auf Kosten von kurzfristigem Profit zu gedulden, wurde 2018 mit dem MSC-Label belohnt. Damit die Industrie nicht denselben Fehler wie früher begeht, dürfen die Fangquoten maximal 15% pro Jahr angehoben werden. Für 2022 liegen die zugeteilten Fangvolumen in der Summe bei etwas mehr als 800'000 Tonnen. Der Fischerei stehen gute Zeiten bevor, denn die Quote dürfte noch für mehrere Jahre angehoben werden, bis ein nachhaltig befischbares Level erreicht ist.

Praktisch kein Beifang

Die chilenische Bastardmakrele, so lautet die deutsche Bezeichnung für diese Spezies, schwimmt in homogenen Schulen. Vereinzelt mischen sich andere Makrelenarten unter die verwandten Artgenossen, aber die Beifangquote liegt bei weniger als 1%. Durch Sonar werden die einzelnen Schulen ausgemacht und auf deren Fangtauglichkeit (Grösse, Spezies) überprüft. Mit dem Ringwadennetz, dass rund 100 Meter tief und etwa 1.5 Kilometer lang ist, kann der Schiffskapitän den Fischschwarm gezielt umkreisen und einfangen. Die Zertifizierungsbedingungen der Fischerei beinhalten, dass sämtlicher Beifang rapportiert und an Land gebracht wird. Die unabhängigen Inspektoren warten oft am Dock auf die Ankunft der Fangschiffe und haben unangemeldet Zugang zu den einzelnen Fahrten auf der See. Der Beifang wird an Land ein zweites Mal aussortiert und die Proteine wo möglich genutzt, um Fischmehl und Fischöl für die Futtermittelindustrie zu produzieren. Die Interaktion mit hungrigen Möwen oder Seelöwen, die ebenso hinter den Makrelen her sind, hat sich gemäss dem letztem MSC-Report vom Juli 2022 auf ein absolutes Minimum reduziert.

Neuer vielversprechender Absatzmarkt wächst

Aktivisten werfen der Industrie für Fischmehl und Fischöl gerne vor, dass die Rohstoffe besser für den Verzehr durch die lokale Bevölkerung geeignet wären. Diesem Grundgedanken ist nichts anzufügen und er wäre für die Unternehmen äusserst lukrativ, da auch in einkommensschwachen Ländern mit Lebensmitteln bessere Margen als mit Futterinhaltsstoffen möglich sind. Er setzt aber voraus, dass die Menschen vor Ort den Fisch gerne essen und damit auch als Käufer auftreten. Und genau hier liegt das Problem: Die frische und günstige Makrele (rund $1.-/Kilogramm) schmeckt dem chilenischen Volk nicht. Den Unternehmen gelang es zwar einen lokalen Markt für Fischkonserven mit verschiedenen Geschmacksrichtungen über die Zeit aufzubauen, aber die Nachfrage hält sich in Grenzen. Erfreulicherweise hat sich ein neuer Absatzkanal für das günstige Fischprotein gebildet: Afrika. Das bevölkerungsreiche Nigeria (über 210 Mio. Einwohner) mit einem BIP pro Kopf von rund $5'000.- fragt grosse Volumen nach und Chile liefert. Von der Fangquote 2022 über 800'000 Tonnen gehen dank besserer Kühltechnologie an Bord der Fangschiffe bereits 80% in Absatzmärkte für den Verzehr durch Menschen. Davon wiederum werden mehr als 50% in gefrorenem Zustand nach Afrika exportiert, wo der lokalen Bevölkerung ein nahrhaftes und gesundes Protein zur Verfügung steht. Da Afrika bevölkerungsmässig der am schnellsten wachsende Kontinent ist, wird der Konsum zwangsweise weiter steigen.

Gross gegen Klein – eine Frage der Qualität und Effizienz?

Blickt man in den Hafen von Coronel so werden die grossen Wildfangschiffe von zahlreichen Kleinbooten umgeben. Diesen selbständigen Fischern mit begrenzten Kapazitäten gehören exklusiv die Fanggründe in den ersten fünf nautischen Meilen ab der Küste Chiles. Unter ihnen existiert noch das olympische Modell. Während die Politik mit diesem Lizenzregime erhofft, den Kleinstunternehmern ein stattliches Leben zu ermöglichen, vergibt sie gleichzeitig eine hervorragende Proteinquelle für den menschlichen Konsum. Die Fischerboote sind nicht genügend ausgerüstet (vor allem fehlende Kühlung), um die Qualität für den menschlichen Konsum sicherzustellen. Deshalb werden diese Fänge ausschliesslich zu Fischmehl und Fischöl für die Tierfutterindustrie verarbeitet. Das zweite grosse Fragezeichen stellt sich beim ökologischen Fussabdruck, welchen die zahlreichen Boote hinterlassen. Während ein einzelnes Grosses durch Skaleneffekte mit wesentlich geringerem Treibstoffverbrauch pro Kilogramm Fang auskommt. Die kapitalistische Empfehlung würde daher lauten, dass sich die Fischer zusammenschliessen, um den Kauf von grossen und effizienten Schiffen zu ermöglichen. Solange jeder Fischer seinen Anteil am Unternehmen hält, hat er dank Skaleneffekten und Kostenvorteilen am Ende des Tages mehr Geld im Portemonnaie.

Coronel steht eine goldige Zeit bevor

Am Ursprung einer neuen Blütezeit im Hafen von Coronel steht die erholte Biomasse der chilenischen Bastardmakrele. Den Fischereiunternehmen ermöglichen die Lizenzerhöhung planbares Wachstum. Die schrittweise Quotenerhöhung ist dabei gleich zweifach ein Segen. Erstens können die bestehenden Kapazitäten bis zur Vollauslastung genutzt werden. Da das Wildfanggeschäft mit hohen Fixkosten operiert, sind die letzten Prozentpunkte der Auslastung besonders lukrativ. Erst danach sind neue Investitionen in die Kapazität nötig, die jedoch mit planerischer Sorgfalt angegangen werden können. Und zweitens ermöglicht das limitierte Angebotswachstum, dass sich der Absatzmarkt für den nahrhaften Fisch ebenfalls entwickeln lässt. Man verhindert damit einen raschen «Boom» und «Bust»-Zyklus, wie man ihn nur zu gut kennt. Coronel stehen die Türen weit offen, um zum nachhaltigen Fischereihafen zu verkommen und ärmeren Ländern eine günstige Proteinquelle zu bieten.

Kommentare